ENSEMBLEGESPRÄCH: LINZER KLIMA

Montag, 13. Juni 2016


Barbara Novotny und Thomas Bammer (C) Thomas Jaugk















Die Schauspiel-Ensemblemitglieder Barbara Novotny, Thomas Bammer, Thomas Kasten und Erich Josef Langwiesner im Gespräch über Molière-Proben mit Gerhard Willert, Theater & Leben in Linz und einiges mehr
Das Gespräch findet im Büro der Schauspieldirektion an der Promenade statt. Thomas Kasten entdeckt beim Hereinkommen einen originalen Holzmeister-Tisch, darüber entspinnt sich eine Fachsimpelei …

Du hast also wirklich eine Tischlerlehre gemacht, ich habe immer gedacht, dass sei eine Art Hobby von dir?

Thomas Kasten: Nein, ich bin Tischlergeselle. Ich habe hier in Linz in der Tischlerei Praha gelernt, bis die abbrannte, dann hab ich noch bei der Tischlerei Breiteneder weitergelernt und auch nach der Prüfung als Geselle gearbeitet. Irgendwann aber musste ich ja auch zu dem blödsinnigen Militärdienst. Da hatte ich keine Ahnung, wie ich da raus komme oder was ich da machen soll und dann habe ich mich zu den Panzern gemeldet. Ich war aber schon heimlich am Brucknerkonservatorium zum Schauspielstudium eingeschrieben. Und da war einer, der Gesang studiert hat, aber sich verpflichtet hatte beim Militär, um das Studium zu finanzieren, und der war bei den Sanitätern und der hat gesagt, „du kommst zu den Sanitätern“ und dann war ich eben bei den Sanitätern. Mein erstes Engagement war dann in Bern in der Schweiz. Da bin ich engagiert worden als Anfänger und Inspizient. Hab aber dann Beleuchtung und Ton gemacht, und da der Tischler im ersten Stück krank war, hab ich mit dem Bühnenbildner zusammen gleich mal das erste Bühnenbild gebaut und hab tatsächlich den unglaublichen Lohn von 50 Franken dafür bekommen. In der Schweiz war das nichts. Ich hab 500 Franken verdient.

Erich Josef Langwiesner: Ich habe mal Proben in der Schweiz gehabt, aber fest engagiert war ich nie. Nach St. Gallen sollte ich gehen und dann ist der Intendant weggegangen und was hat der gemacht: Im Mühlviertel Hunde gezüchtet. Einmal ist mir ein Intendant nachgereist und der wollte mich nach Bamberg holen und dann ist der am nächsten Tag gestorben, plötzlich war der tot.

Thomas Kasten: Ich war ja nach Bern ein Jahr in Hamburg. Und dann kam Boy Gobert und der hat alles entlassen. Da bin ich nach Bremen, und in Bremen hat Boy Gobert eine Vorstellung gesehen und hat mir geschrieben, weil er an die Josefstadt geht. Ich wollte ihm zurückschreiben, und dann hörte ich im Radio, Boy Gobert ist gestorben.

Erich Josef Langwiesner: Theateranekdoten, da sitzen wir aber dann noch lange da …

Thomas Bammer: Das ist Spökes, sagt der einzige Piefke in der Runde.

Ihr spielt ja alle in Gerhard Willerts Inszenierung von „Tartuffe“ von Molière zurzeit, zum Teil wart ihr auch schon beim „Geizigen“ dabei?

Thomas Bammer: Ich war dabei, Barbara auch.

Barbara Novotny: Also ich so halb, weil ich ja eingesprungen bin für Jenny Weichert, als sie schwanger war - das gilt also nicht ganz.

Thomas Bammer: Du hast aber viele Vorstellungen gespielt.

Barbara Novotny: Ich hab es fast eine ganze Saison gespielt.

Thomas Bammer: Und Erich hat den großen Schlussauftritt im „Geizigen“ schon geübt.
Barbara Novotny: Den hast du gepachtet.

Thomas Kasten: Da hast du eine andere Perücke, oder?

Erich Josef Langwiesner: Ein bisserl, aber nur ein bisserl.

Was ist das Besondere daran, mit Willert Molière zu machen, und was macht euch Spaß daran? Ich sehe doch den Spaß regelrecht aus euren Augen blitzen, wenn ihr das macht …

Erich Josef Langwiesner: Das kommt auf den Hund an. Der Afghane ist ein Traum. Den muss man nicht inszenieren. Da machst du nur eine leichte Handbewegung und der weiß, was los ist.

Barbara Novotny: Beide Hunde sind ziemliche Rampensäue.

Thomas Kasten: Das war aber auch harte Arbeit, diese Texte ins Hirn zu kriegen. Jetzt läuft das super und macht Spaß, aber bei den Proben hatte ich gar keine Chance, da wirklich einen Spaß zu empfinden, weil ich mein Gehirn so gemartert hab.

Barbara Novotny: Ja die Reime …

Erich Josef Langwiesner: Ich denke mir immer, so etwas lerne ich relativ leicht und mir ist es auch so vorgekommen, als hätte ich es leicht gelernt und dann stehst du da und du hängst an den blödesten Stellen und denkst dir, das gibt es überhaupt nicht, da kannst du nicht hängen.

Thomas Bammer: Wenn es dich mal raushaut, dann haut es dich gleich ganz raus. Das war der Unterschied zum „Geizigen“, aber die Spielweise ist die, die wir dort entwickelt haben, um quasi das Publikum mit auf die Bühne zu ziehen. Dass du permanent mit zwei Partnern spielst, mit deinen Partnern auf der Bühne und mit dem Publikum, das hat Willert ja hier fortgesetzt, das ist ja der rote Faden durch den ganzen Molière. Das ist, glaub ich, auch der Grund, weshalb die Molière -Inszenierungen so beliebt sind, weil die Leute sich freuen, dass sie mitgenommen werden.

Thomas Kasten: Mitgenommen, aber nicht aufgefordert werden mitzumachen. Das ist nämlich auch noch etwas. Sie machen mit, indem sie reagieren und das finde ich auch gut, dass man einfach so direkt die Leute anspricht, ohne sie aufzufordern mitzumachen, weil das ist immer peinlich.

Thomas Bammer: Du gibst ihnen Macht, aber keine Verantwortung. Ich kann immer machen und alle reagieren. Das ist ja geil als Zuschauer.

Barbara Novotny: Als Spieler ja auch.

Thomas Bammer: Manchmal ja, manchmal nein.


Erich Josef Langwiesner: Thomas, du bist auch noch bei Willert in seiner letzten Inszenierung drinnen.

Thomas Kasten: Ja, jetzt bin ich noch in „Wasser im Meer“ von Nußbaumeder.

Erich Josef Langwiesner: Ich war in seiner allerersten in Linz drinnen. Die habe ich geliebt, das war eine meiner schönsten Theatererlebnisse überhaupt. Martin Crimp, „Der Dreh“. Als blinder Taxifahrer.

Das war der berühmte Dreh? Von dem die Bühnenbildelemente bis heute benutzt werden. Da steht ja auf ganz vielen auf der Rückseite noch „Der Dreh“ drauf.

Erich Josef Langwiesner: Florian Parbs hat das gemacht. Ein geiles Bühnenbild, das war ein sagenhaft schönes Bühnenbild.

Thomas Kasten: Das war doch das Bühnenbild, wo eine Kollegin auf der Generalprobe in der Versenkung verschwunden ist, weil die nochmal im Finsteren raus ist.

Erich Josef Langwiesner: Gott sei Dank ist der nichts passiert. Der Techniker, der unten auf der Leiter stand, der hatte viel mehr Blessuren.

Thomas Kasten: Der Intendant Stögmüller ist mal in seiner eigenen Inszenierung von „Bauer als Millionär“ in die Versenkung gefallen. Ich war der Junge, der eine Kegelkugel schiebt und dann fallen alle neun um und ein großer Adler kommt aus dem Plafond herunter, so ist es beschrieben. Da ist der Ring drinnen und ich habe den Ring geholt und musste dafür über die offene Versenkung springen. Und der Intendant hat gesagt: „Nein, du musst das so schmeißen.“ Immer wieder hinter mir und immer noch einmal und noch einmal. Und dann schmeiß ich und er sagt nichts mehr und ich renn alle neune und hol den Ring und denk mir, was ist denn jetzt los, da stehen so viele Kollegen und schauen da runter. Und dann lag er unten. Er hat hat mir zugeguckt und vergessen, dass die Versenkung runtergeht, und ist rückwärtsgegangen. Er kam rauf und hat gesagt: „Weitermachen, weitermachen.“ Und hat sich unten hingesetzt. Und irgendwann hat man nichts mehr gehört von ihm. Schwere Gehirnerschütterung, Schlüsselbeinbruch, ab in Krankenhaus. Das tut mir leid.

Barbara Novotny: Intendanten, die im Inszenierungseifer ihre eigenen Bühnenbilder herunterfallen, das kennen wir doch …

Erich, du warst schon im Linzer Ensemble, als Gerhard Willert vor 18 Jahren kam, oder? Und Thomas, du kamst damals mit ihm zusammen?

Thomas Kasten: Ich kam mit Willert und meine erste Arbeit mit ihm war „Rückkehr in die Wüste“ von Koltès im großen Haus. Crimp, Franzobel, Koltès – das gab’s alles gleich in der ersten Spielzeit!

Erich Josef Langwiesner: Aber frag nicht nach Sonnenschein. Da ist es schon zur Sache gegangen. Da haben die Linzer ordentlich mit den Ohren geschlackert. Die Entrüstung beim „Sturm“, das war irre. Und geil. - Wird das Schauspielhaus nächste Spielzeit nicht auch mit „Sturm“ eröffnet?

Barbara Novotny: Wir haben ja auch mit Shakespeare angefangen. „Maß für Maß“. Das war der Beginn der Ära Mennicken.

Thomas Bammer: Das sind exakt zehn Jahre – mein längstes Engagement.

Barbara Novotny: Meins auch, ich hatte noch kein anderes. Ich kam ja direkt vom Max-Reinhardt-Seminar. Es hat hier einfach alles gestimmt, so einfach ist das.

Thomas Kasten: Das war auch mein längstes Engagement. 18 Jahre an einem Haus. Aber Erich, du bist ja schon 30 Jahre da, du hast ja schon eine Inventarnummer.

Erich Josef Langwiesner: Ich hab hier noch mit dem Pervu gespielt – Klaus von Pervulesko.

Thomas Kasten: Ja, ich auch, aber viel früher.

War das seltsam damals für dich, nach so langer Zeit an ein Haus zurückzukehren?


Thomas Kasten: Ich wollte zurück nach Österreich und ich hatte eine schöne Arbeit mit Willert gehabt in Freiburg und das hat mir gut gefallen. Ich habe ihn gefragt, „ich will zurück nach Österreich, ist da noch was frei“. „Ja schon, ich hätte ja geglaubt, du willst in Freiburg bleiben“. Sag ich „nein, ich will nicht in Freiburg bleiben“. Und so kam es zustande. Von wo kamst du, Thomas?

Thomas Bammer: Ich war drei Jahre in Oldenburg bei Mennicken fest engagiert gewesen, hatte mich dann aber wieder für die Selbstständigkeit entschieden und war deshalb sehr überrascht, als Mennicken und Willert mich fragten, ob ich ins Ensemble komme. Und dass ich dann auch noch so lange geblieben bin, hat mit der Arbeitsatmosphäre hier zu tun, eine, wie ich sie anderswo an einem festen Haus noch nicht erlebt habe. Das besondere, was hier entstanden ist, das ist die angstfreie Zone – ein Vertrauen im Miteinander, ein Klima von Wertschätzung und Respekt. Jetzt klinge ich vielleicht wie ein Pfarrer, aber das sehe ich als die Basis allen kreativen Arbeitens, überhaupt allen Arbeitens miteinander. Und damit meine ich nicht Ringelpietz mit Anfassen – hier konnte auch heftig gestritten werden.

Barbara Novotny: Oh ja! Aber immer wollten wir etwas miteinander erzählen.

Thomas Bammer: Und erst so ist man auf Dinge gekommen, die einen selbst überraschen.

Barbara Novotny: Und jeder konnte sich mit seinen ganz eigenen Qualitäten einbringen. Denn das Ensemble war ein heterogenes, eines verschiedenster Persönlichkeiten. Aber eben auch deshalb so spannend.

Thomas Bammer: Und diese ganz besondere Atmosphäre mache ich am Schauspieldirektor fest. Der ist schon ein toller Ermöglicher. Aber so eine Atmosphäre bleibt nicht hermetisch, die schlägt Wellen – wie ein Stein, den man ins Wasser wirft. Diese Atmosphäre wurde uns auch vom Publikum gespiegelt, das genau das wahrgenommen hat. Die sind nicht star-fixiert, weil es das hier nicht gab. Die haben immer das ganze Ensemble miterlebt.

Thomas Kasten: Und auch so konnte nur etwas entstehen wie die LESEZEICHEN-Reihe. Etwas Ähnliches hatte ich auch schon an diversen Häusern davor probiert – immer ist das nach ein oder zwei Versuchen wieder eingegangen. Hier aber hatte ich nie Mühe, diese Reihe zu programmieren. Denn jeder wollte gerne etwas beitragen. Darum beschließen wir das auch am 26. Juni im größeren Rahmen, alle gemeinsam abends auf der Kammerspielbühne – den Hinweis kann ich mir nicht verkneifen. Das ist dann das 153. LESEZEICHEN und das letzte.

Ein schöner Bogen am Ende zum Auftakt unserer Interviewserie, wo es ja ums NACHTSPIEL ging, auch etwas, was nur aus dieser besonderen Ensembleatmosphäre heraus entstehen konnte. Aber eine letzte Frage noch: Wo zieht es euch denn hin?

Thomas Bammer: Da es gar nicht so einfach ist, die Wurzeln herauszuziehen nach so einer Zeit, besonders, wenn hier beide Töchter aufgewachsen sind beziehungsweise noch aufwachsen, bin ich mit meiner Familie nur ein paar Kilometer die Donau hinauf gezogen, nach Ottensheim.

Thomas Kasten: Ich auch, aber auf den Berg. Ich schau von Kirchschlag herab, was hier so getrieben wird.

Erich Josef Langwiesner: Wie Adalbert Stifter! Ich dagegen aus dem See heraus, aus den Tiefen des Traunsees.

Thomas Bammer: Ob ich schau, weiß ich gar nicht. Keine Ahnung.

Barbara Novotny: Und mich zieht es die Donau entlang in die andere Richtung, zurück nach Wien. Denn es hat ja auch sein Gutes, neu anzufangen.


Ausklang der Gesprächsreihe mit Ensemblemitgliedern der Schauspieldirektion Gerhard Willert. Das Gespräch führte Kathrin Bieligk.