Good Job, Dennis!

Freitag, 7. Juli 2017


 Großes Finale für Generalmusikdirektor Dennis Russell Davies. Kennen Sie jemanden, nach dem ein Himmelskörper benannt wurde? … nein? Sie werden es vielleicht nicht vermuten, aber: Sie kennen wahrscheinlich sogar zwei solcher Namensgeber. Als Erich Meyer, langjähriges Mitglied der Linzer Astronomischen Gemeinschaft und begeisterter Hobby-Astronom, im Kulturhauptstadtjahr 2009 die Oper Kepler im Theater an der Promenade sah, war er so beeindruckt, dass er beschloss, zwei der von ihm entdeckten Asteroiden nach Dennis Russell Davies und dem Komponisten Philip Glass zu benennen.

Noch am selben Abend schrieb er die Begründungen dafür nieder und schickte sie an die Internationale Astronomische Union in Cambridge. Die Benennung der beiden Kleinplaneten wurde akzeptiert, und nun schweben in den unendlichen Weiten des Weltraums zwei Himmelskörper, deren Namensgebung in der Uraufführung von Philip Glass’ Porträt-Oper über den Astronomen Johannes Kepler am Landestheater Linz ihren Ursprung nahm. Eine schöne Anekdote, die der griechischen Herkunft des Wortes – ἀνέκδοτος (anékdotos), was so viel wie „nicht veröffentlicht“ bedeutet – in erstaunlicher Übereinstimmung gerecht wird, denn es handelt sich tatsächlich um eine bisher unveröffentlichte Begebenheit!

Mindestens genauso bemerkenswert ist auch, was ein Opernbesuch auszulösen vermag – und das ist selbstverständlich auf den unverwechselbaren Esprit dieser beiden Künstlerpersönlichkeiten und auf deren Strahlkraft zurückzuführen, die nunmehr seit 15 Jahren aus dem Linzer Kunst- und Kulturleben nicht mehr wegzudenken sind.

Meilensteine und Alltagsgeschichten




Dennis Russell Davies ist in der Online-Enzyklopädie Wikipedia unter „Söhne und Töchter der Stadt Toledo, Ohio“ gelistet. „Ein Amerikaner in Linz“ wäre eine alternative Überschrift zu dieser Rückschau, die keinen Anspruch auf chronologische Vollständigkeit erhebt, sondern vielmehr so wertschätzend und am Menschen interessiert sein möchte, wie man es von Dennis Russell Davies selbst gewöhnt ist. „Hello Magdalena, wie geht’s Ihnen?“ – Die von ihm kultivierte Mischung aus „Sie“ und höflichem „Du“ sowie einem ehrlichen Interesse an der adressierten Person ist ein im Theateralltag erprobtes Zeugnis dafür. Doch zurück zum „Amerikaner in Linz“: Im Jahr 2002 kam Dennis Russell Davies als sechster Chefdirigent des Bruckner Orchesters nach Linz und seitdem ist viel passiert, vor allem die Dimensionen seines Wirkungsbereichs haben sich vergrößert: Die Eröffnung des Musiktheaters am Volksgarten im Jahr 2013 ist sicherlich als der größte Meilen- stein dieser Zeitspanne zu nennen. („Think Big!“ – Stellen Sie sich eine Führung durch das Theater zum 100jährigen Jubiläum der Eröffnung im Jahr 2113 vor: Dennis Russell Davies wird nach wie vor der erste Dirigent sein, der im Linzer Opernhaus eine Premiere leitete, und auch der namensgleiche Asteroid wird unbeirrt das All durchstreifen – aller Voraussicht nach.) In den letzten 15 Jahren hat sich das Bruckner Orchester zudem von 110 auf 130 Musikerinnen und Musiker vergrößert und mit der in der Saison 2013/2014 ins Leben gerufenen Orchesterakademie hat Dennis Russell Davies „seinem“ Klangkörper eine langfristige „Anti-Aging-Kur“ zuteilwerden lassen und eine orchestereigene „Kaderschmiede“ gegründet. Der eine oder die andere erinnert sich bei dieser Gelegenheit vielleicht außerdem an Meilensteine wie die äußerst beliebten Klassik Open Airs auf dem Linzer Hauptplatz, die Klassischen Klangwolken im Donaupark, aber genauso an den musikalisch opulenten Ring des Nibelungen im neu eröffneten Musiktheater unter seiner Musikalischen Leitung. Und auch der Wirkungsbereich des Bruckner Orchesters und somit – metaphorisch als auch geographisch gesprochen – dessen Horizont hat sich mit Dennis Russell Davies erweitert: Bereits drei Mal (2005, 2009 und 2017) begab sich das Orchester etwa auf USA-Tournee, anlässlich derer es gerade vor kurzem superlative Kritiken wie die des amerikanischen Musikjournalisten Michael McDonagh „einspielen“ konnte: „… and I hate to say it – but this was the best and most beautiful orchestral playing I’ve ever heard.“

Der Amerikaner Dennis Russell Davies ist in den letzten 15 Jahren immer mehr zu einem begeisterten Linzer geworden: Mit seinem Piraten-beflaggten Fahrrad düst er die Landstraße rauf und runter, im Teesalon von Madame Wu in der Altstadt ist er Stammgast geworden und an dem einen oder anderen Samstag trifft man ihn beim Wochenendeinkauf am Südbahnhofmarkt. Literaturlisten zum Topos des Dirigenten beinhalten Titel wie Götter im Frack – in Linz ist der „erste Dirigent des Landes“ bei weitem nicht nur im „Olymp Musiktheater“ anzutreffen, sondern genießt mittlerweile einen ungemein hohen Bekanntheitsgrad und begegnet einem in ganz unterschiedlichen Zusammen- hängen. In den unter dem Titel Der Taxisteher veröffentlichten Alltagsgeschichten des Linzer Taxilenkers Marius Huszar etwa gibt es die Anekdote zu lesen, er habe sich mit seinem Fahrgast Dennis Russell Davies einmal so blendend über den Komponisten Wilhelm Kienzl unterhalten, dass ihn Davies sogleich zu einem bevorstehenden Konzert des Bruckner Orchesters einlud. Auf dem Programm stand Bruckners Vierte Sinfonie, und der „Kulturtaxler“ hält in seinem Erzählbändchen fest: „War das ein Erlebnis! … nicht enden wollende Beifallsstürme.“ Mit derselben Sinfonie, mit Bruckners „Romantischer“, wird sich Dennis Russell Davies im Juli 2017 als Chefdirigent des Bruckner Orchesters auch feierlich verabschieden; bei gleich drei Konzerten haben Sie die Gelegenheit, ein ebenso eindrucksvolles Erlebnis in Ihre persönlichen Memoiren einzuschreiben.

„Mission Bruckner“ Completed




„Das Bruckner Orchester hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem der führenden Klangkörper Mitteleuropas entwickelt“, ist in Publikationen des Orchesters und auf www.bruckner- orchester.at zu lesen. Dies ist in hohem Maße auch der Arbeit von Dennis Russell Davies zu verdanken, der sich mit „seinem“ Orchester stets engagierte Ziele steckte und „hoch hinaus“ wollte, vor allem auch durch die Interpretation zeitgenössischer und avantgardistischer Musik. Dabei hat er die Musik des Namenspatrons Anton Bruckner jedoch als Fundament nie aus den Augen gelassen: Die „Bruckner-Pflege“ gehörte mit der Aufführung mehrerer Sinfonien des Komponisten pro Spielzeit und Konzerten in der Stiftsbasilika St. Florian, der historischen Wirkungsstätte Anton Bruckners, zu den fixen Bestandteilen des jährlichen Konzert- programms. Die Essenz dieser Arbeit ist auch auf Tonträger festgehalten: Unter der Künstlerischen Leitung von Dennis Russell Davies erfolgte die erste Gesamteinspielung aller Bruckner-Sinfonien des Orchesters „aus einer Hand“, und auch die Aufnahme aller Fassungen – ein musikhistorisch in der Bruckner-Rezeption vieldiskutiertes Feld – konnte das Bruckner Orchester (als erster Klangkörper weltweit!) vor kurzem fertigstellen. Neben seiner Tätigkeit als Chefdirigent des Bruckner Orchesters bekleidete Dennis Russell Davies in den vergangenen Jahren außerdem den Posten des Opernchefs am Landestheater, somit gehörte die „Arbeit im Orchestergraben“ gleichermaßen zu seiner vielseitigen Tätigkeit – daraus entstanden dutzende Opernpremieren unter seiner Musikalischen Leitung. Ariadne auf Naxos bis Zauberflöte – die einzelnen Titel hier aufzulisten, bedürfte eines eigenen Artikels, Sie können diese jedoch der Ende dieser Spielzeit erscheinenden Festbroschüre des Bruckner Orchesters entnehmen!

Die Gegenwart hören


Auf meinem Schreibtisch liegt seit einiger Zeit das unter Kulturschaffenden und Musikern zum Kult gewordene Buch The rest is noise. Das 20. Jahrhundert hören des New Yorker Musikkritikers Alex Ross, das die Musikgeschichte des vergangenen Jahrhunderts feuilletonistisch und anekdotenreich und zugleich wissenschaftlich fundiert wiedergibt. Als Dennis Russell Davies dies einmal entdeckte, meinte er: „Schön, wenn Sie das lesen – ich habe das quasi alles selbst erlebt!“ Und genau diese „Lebenserfahrung“ war richtungsweisend und spürbar: Das 20. und auch das 21. Jahrhundert spielten in den Konzertprogrammen des Bruckner Orchesters und in den Spielplänen des Landestheaters unter der Künstlerischen Leitung von Dennis Russell Davies stets eine große und zunehmend selbstverständliche Rolle. Komponisten wie Arvo Pärt, Kurt Schwertsik, Alfred Schnittke, Hans Werner Henze, John Cage, Gija Kantscheli oder Aaron Copland prägten über die Jahre die Programme, auch im Rahmen der von Dennis Russell Davies initiierten Konzertreihe im Wiener Musikverein, die das Bruckner Orchester beginnend mit der Saison 2012/2013 regelmäßig in den „Saal der Säle“ der Bundeshauptstadt führte. In den Spielplänen des Landestheaters fanden sich in diesem Sinne zahlreiche Uraufführungen oberösterreichischer Komponisten wie Balduin Sulzer, Peter Androsch oder Ernst Ludwig Leitner, außerdem machte Dennis Russell Davies Linz zur „zweiten Heimat“ eines der erfolgreichsten und beliebtesten Komponisten unserer Zeit: Philip Glass. Das vorläufige Highlight dieser fruchtbringenden Künstlerfreundschaft und musikalischen Symbiose, Philip Glass’ 11. Sinfonie, die an seinem 80. Geburtstag unter Dennis Russell Davies in der New Yorker Carnegie Hall uraufgeführt wurde, erfährt am 12. Juni 2017 in Linz seine Europäische Erstaufführung (Details siehe Konzertkalender S. 43). In einem Interview anlässlich der Uraufführung meinte Dennis Russell Davies zu Glass’ neuester Komposition: „It’s a very dramatic, very interesting piece with a loud, festive, flamboyant ending.“ Lassen Sie sich dieses „laute, festliche und extravagante Ende“ also nicht entgehen!

Anlässlich der Verleihung des Titels Generalmusikdirektor an Dennis Russell Davies im Jahr 2014 gab er einen Ausblick auf die damals noch verbleibenden drei Spielzeiten unter seiner Künstlerischen Leitung und meinte: „Ich wünsche mir noch viele geglückte Konzerte und spannende Opernproduktionen. Ich hätte noch Ideen für mindestens sechs Spielzeiten!“ Das vorläufige Finale dieser Schaffenskraft und dieses Ideenreichtums erleben Sie in den verbleibenden Monaten der Theater- und Konzertsaison 2016/2017, in der Dennis Russell Davies noch bei zwei Premieren im Musiktheater am Pult stehen wird: Bei der Österreichischen Erstaufführung der Oper Die andere Seite von Michael Obst und der konzertanten Aufführung des Musicals On the Town von Leonard Bernstein. „Goodbye, Dennis!“, heißt es im kommenden Juli vonseiten aller Musik- und Kunstschaffenden in Landestheater und Bruckner Orchester. Dennis Russell Davies selbst hat ein mögliches Grußwort seinerseits bereits 2013 in einem Inter- view mit der Tageszeitung Kurier anlässlich der Eröffnung des Musiktheaters am Volksgarten vorweggenommen. Auf die Frage „Das Musiktheater ist ein Jahrhundertbau – woran soll man sich in hundert Jahren erinnern, wenn man den Namen Dennis Russell Davies hört?“ entgegnete er: „Dass sich die Menschen, die mit ihm gearbeitet haben, wohlgefühlt und getraut haben, ihr Bestes zu geben. Und dass wir zusammen etwas Unvergessliches geschaffen haben.“ Lieber Dennis, „we had a wonderful time!“ – Vielen Dank dafür!

Text: Magdalena Hoisbauer
Fotos: Tom Mesic