„Conchita wäre auch mit Falten vorstellbar, nur müsste sie dann anders heißen.“

Mittwoch, 1. November 2017


Für immer jung zu sein hat für Conchita nichts mit dem Alter zu tun, es sei vielmehr das Strahlen in den Augen, das Menschen für immer jung und vital hält, ist sie im Gespräch mit Silvana Steinbacher überzeugt. 

Conchita ist eine junge Kunstfigur, die sofort eingeschlagen hat. Wodurch erklären Sie sich diesen Hype, abgesehen von Ihrer Ausstrahlung und Ihrer stimmlichen Begabung?

Ich denk mir jeden Tag, wann kommen sie drauf, dass ich nicht so gut bin, wie sie glauben. Ich kann es mir phasenweise auch nicht erklären. Ich weiß, dass ich eine gewisse Ausstrahlung habe und fähig bin, Menschen zu unterhalten, aber ich hatte auch sehr viel Glück. Ich hätte mir nie gedacht, dass ich beispielsweise mit dem BBC-Orchester spielen darf, aber solche Anfragen kommen, und dann mach ich das natürlich. Ich realisiere erst jetzt, was seit dem Sieg des Eurovision Song Contest alles möglich geworden ist. Ich bin sehr dankbar dafür.

Ist es manchmal auch belastend, mit dieser Kunstfigur zu leben?

Nein, es macht mir Spaß, dass ich so viele Dinge sagen und machen kann, die ich sonst nicht sagen und machen könnte. Die Figur ist ein Schutzmantel, hinter dem ich mich verstecken kann, und deswegen fällt es mir leicht, für ein paar Stunden am Tag jemand anderer sein zu können. Außerdem werde ich privat fast nie auf der Straße erkannt, kann also auch ein normales Leben führen.

In welcher Hinsicht möchten Sie für immer jung bleiben?

Als ich den Begriff „Für immer jung“ das erste Mal gelesen habe, habe ich zuerst gedacht, das bezieht sich auf Oberflächlichkeit, Optik und die Frage, wie bleibt man für immer jung, aber es geht für mich um das Strahlen in den Augen, das Menschen für immer jung und vital hält. Wenn man die eigene Person immer wieder reflektiert, ist man auf einem guten Weg, wach und dadurch vital und innerlich jung zu sein.

Sie hetzen von einem Termin zum anderen, gibt's dennoch Momente, in denen Sie denken, jetzt bin ich jung und unbeschwert?

Ja, die gibt's schon, das ist zum Beispiel der letzte Drink um 4 Uhr früh auf einer Dachterrasse mit Freunden, wenn alle im Rausch der Emotionen sind und die Sonne aufgeht, dann weiß ich, ich bin jung.

Ihre Jugend im steiermärkischen Bad Mitterndorf war für Sie schwierig, inwiefern?

Wenn man so wie ich, in einem kleinen Dorf aufwächst und nicht dem entspricht, was von einem erwartet wird, dann ist das anstrengend. Ich hab gemerkt, ich steh auf Jungs und hatte mit mir zu kämpfen, weil ich dachte, dass ich ein Fehler bin und das wäre nur eine Phase. Aber als ich wusste, dass das, wie ich fühle, richtig ist, bot ich keine Angriffsflächen mehr, die Beschimpfungen und Hänseleien sind verschwunden.

Ist Conchita auch mit Falten und grauen Haaren vorstellbar?

Ja, ich denke, sie würde dann aber nicht so heißen. Wenn ich eine grauhaarige, bärtige Dragqueen sehe, dann heißt sie für mich Carmen dell' Orefice. Das Modell gibt es ja tatsächlich. Dell' Orefice ist eine der schönsten Frauen dieser Welt. Ich würde mich genauso nennen.

Sie haben 2014 den ersten Platz beim Eurovision Song Contest in Kopenhagen belegt. Für Österreich war es seit Udo Jürgens der erste Sieg nach 48 Jahren. Sie waren damals erst 25 Jahre alt, wäre dieser Sieg Ihrer Meinung nach auch als Tom Neuwirth möglich geworden?

Wahrscheinlich nicht, aber aus vielen Gründen, vor allem weil die Aufmerksamkeit eine andere gewesen wäre. Dass dieses Mysterium oder Bild einer bärtigen Frau Aufmerksamkeit generiert, das war mir schon bewusst. Aber ich habe dieses Versteck auch gebraucht, um mich vor den negativen Reaktionen abgrenzen zu können, die auch gekommen sind. Ich bin als Conchita auch auf eine seltsame Art konzentrierter, wenn ich geschminkt bin. Auch ein Stück weit höflicher. Ich denke manchmal, ich bin so die beste Version meiner selbst, die Tochter, die meine Mama gerne hätte. Conchita ist höflich, schön angezogen.

Ihre Mutter mag also Conchita?

Und wie! Das ist die Tochter, die sie nie hatte und nie kriegen wird.

Sie kennen die große Bühne mit 180 Millionen Zusehern. Lieben Sie auch die Theaterbühne?


Ich liebe es, live zu spielen und ein Publikum vor mir zu haben und den Moment einfach entstehen zu lassen. Bette Midler (amerikanische Sängerin und Schauspielerin) hat einmal gesagt, dass sie sich am Broadway am lebendigsten fühlt, weil sie dort vor Publikum spielt und sofort weiß, ob sie gut war oder nicht. Beim Film muss sie auf den Schnitt warten und hoffen, dass es gut wird. Die Bühne, glaub ich, wird nie an Wichtigkeit verlieren. Wenn man sich darauf einlässt, weiß man, dass eine Live-Performance nichts überbietet.

Ist Theater jung?

Ich glaub schon, vielleicht wird Theater nie ein hippes Ding für die Jungen, aber es wird immer wieder Nachwuchs geben bei den Zuschauern, davon bin ich überzeugt.

Was sehen Sie am liebsten im Theater?

Ich liebe Musicals, das ist aber klar, da komme ich auch her, dramatisch und over the top, so wie ich halt bin. Eines meiner ersten Musicals, das ich gemeinsam mit meiner Tante gesehen habe, war die Rocky Horror Show, und sie hat genau gewusst, wie das auf mich wirken wird. Es war für mich die Erleuchtung! Männer in Damenunterwäsche, ich war hingerissen, und genau das ist auch Theater für mich. Sowas kommt in keinem Film rüber.

Sie haben Mitte August kurzfristig einen Auftritt in Edinburgh abgesagt, weil drei aus Syrien stammende Begleitmusiker kein Visum für Großbritannien erhalten haben. Ein politischer Protest einer berühmten Bühnen-Diva schafft im besten Fall politisches Bewusstsein. Wie nehmen Sie das politische Bewusstsein oder Engage- ment bei Gleichaltrigen wahr?

Es ist schwer, das zu vergleichen, weil ich in der Masse weniger tue als viele, die in meinem Alter sind. Ich bin aber in der privilegierten und vielleicht auch unfairen Situation, dass ich lauter bin. In meinem Freundeskreis kenne ich viele, die sich in vielen Projekten engagieren. Ich hab halt diese großen Bühnen, und da ist es leicht, gehört zu werden. Mir geht es vor allem um Toleranz und den Grundrespekt voreinander.

Den Grundrespekt haben Sie selbst in vielen ablehnenden und sogar untergriffigen  Reaktionen nicht bekommen. Wie haben Sie das verkraftet?

Ich hab halt einfach manchmal nichts gesagt, und das haben manche als sehr weise und zurückhaltend interpretiert. Auf der Bühne sehe ich es als Motivation. Ich mag es sogar ein wenig, wenn ich merke, das Publikum ist nicht ganz auf meiner Seite, weil ich weiß, ich schaffe es, ich hole dann eben den Ehemann, der mit seiner Frau mitgehen muss, mit meinen Geschichten ab. Ich weiß einfach, dass ich unterhalten kann. Ich glaub, ich hab eine Leichtigkeit auf der Bühne, die angenehm anzusehen ist. Ich kenne aber auch die Situation, wenn ich in eine Oper gehe, und ich versteh einfach nicht, was da vor sich geht. Dann sitzen total elitäre Menschen neben dir und liefern intellektuelle Erklärungen. Ich bin so simpel, mich versteht jeder.

Ein sympathisches Understatement. Soll ich das glauben?

Ja, ja, ich denke schon.

Sie wollen ja nicht mehr lange Conchita bleiben, was wird aus ihr werden, wird sie nur noch eine Erinnerung im Leben des Tom Neuwirth sein?

Sie wird für viele Jahre im  Kasten hängen, und dann pack ich sie vielleicht wieder einmal aus. Es gibt jetzt diesen gewissen Zeitraum, den ich  noch nicht festgelegt habe, in dem ich auch noch Conchita bin, denn es gibt schon noch Dinge, die ich unter diesem Namen machen möchte, nicht zuletzt mein zweites Album, aber über kurz oder lang wird's wahrscheinlich wirklich so sein, dass ich mich von der Figur verabschieden werde. Es gibt in meinem Leben so viele Dinge, die ich noch ausprobieren will, und dazu brauch ich keinen Pepi am Kopf.

Fotos: Herwig Prammer