„Anpassung erschien mir als junger Mensch furchtbar.“
Montag, 8. Mai 2017
Valie Export ist 1940 in Linz geboren, mit 20 Jahren ging sie nach Wien. Dort suchte sie gemeinsam mit anderen Künstlerinnen und Künstlern auch nach Neuen Welten, erzählt sie im Gespräch mit Silvana Steinbacher. Heute aber seien Utopien nicht mehr aktuell, meint die Künstlerin.
Frau EXPORT, Sie haben Anfang der 1960er- Jahre ausgehend von Linz, künstlerisch eine Neue Welt – um an das Motto des Linzer Landestheaters anzuknüpfen – betreten. Woher kamen damals für Sie die innovativen Impulse?
In den späten 1950er- und 1960er-Jahren gab es in Linz wenig an kulturellem Angebot. Ich fand auch kaum ein Museum, das mich als Jugendliche interessiert hätte. Deshalb bin ich auch weggegangen. Ich hatte aber einen familiären Background. Meine Mutter, eine Kriegerwitwe, hatte Kunstbücher und-zeitschriften, und meine größere Schwester hat mir erste Auslandsaufenthalte ermöglicht. Dort habe ich Neue Welten kennengelernt.
Was haben Sie damals mit einer Neuen Welt verbunden?
Unter einer Neuen Welt haben wir, wenn ich an meine Jugend denke, Utopien verstanden. Diese waren für uns auch mit einem anarchistischen politischen Denken verbunden. Heute sind Utopien nicht mehr aktuell. Eine Neue Welt müsste sie aber in sich tragen. Welche das sein sollten, sei dahingestellt, denn es hat sich ja gezeigt, dass es nicht funktionieren kann, eine Neue Welt zu erschaffen.
Welche Welten interessieren Sie auf der Bühne?
Das Theater sollte nicht nur die alten Stücke zeigen, finde ich, sondern wesentlich mehr neue. Als eines meiner Theatererlebnisse sehe ich Thomas Bernhards Stück Heldenplatz, ich denke vor allem deshalb, weil es den Puls der Zeit getroffen hat, vor allem in Österreich. Generell könnte das Theater auch viel mehr von der Performancekunst lernen, was ja an einigen Stätten ohnehin schon praktiziert wird.
Ich möchte eine Premiere des Linzer Landestheaters im Juni herausheben, Bertolt Brechts Leben des Galilei. Im Mittelpunkt des Stückes stehen Wahrheit und Verrat, Auflehnung und Anpassung, gewissermaßen ein neues Weltbild, mit dem manche Zeitgenossen damals offenbar überfordert waren. Finden Sie in diesen Themen unsere Zeit wieder?
Heute überfordert sich unsere Gesellschaft selbst, weniger als eine einzelne Person sie überfordern würde. Was ich an Galilei bewundere, ist seine Stärke, seine Konsequenz, mit der er gegen alle Widerstände seine Überzeugungen durchgesetzt hat. Ich würde mir heute wieder einen Galilei wünschen, auch weiblich, es ist interessant Vermutungen anzustellen, ob Galilei sich heute behaupten könnte oder in eine Opferrolle geriete.
Haben Sie sich selbst jemals als Opfer gesehen?
Nein, nie, als Opfer der Gesellschaft nicht.
Allerdings wurden Sie zu Beginn Ihrer künstlerischen Laufbahn mit vielen Anfeindungen konfrontiert. Ende der 1960er-Jahre irritierten Sie Ihr Publikum unter anderem durch das sogenannte Tapp und Tastkino. Schaulustige auf der Straße wurden in dieser feministischen Kunstaktion eingeladen, Ihren nackten Busen durch einen Kasten zu berühren. Einige andere künstlerische Aktionen entfesselten Beschimpfungen und sogar Drohungen, denen Sie ausgesetzt waren. Woher haben Sie als junge Frau die Kraft und den Mut gefunden, all diese Widerstände auszuhalten?
Es war für mich selbstverständlich, dass ich den Weg gehe, den ich mir vorstelle. Und dadurch, dass ich genau wusste, was ich machen wollte, ließ ich mich auch nicht beirren. Mir hat vieles nicht behagt in der Nachkriegszeit in Linz, Anpassung aber erschien mir als junger Mensch furchtbar, und insofern habe ich mit Widerständen ja gerechnet. Widerstände zu überwinden ist für mich auch ein kreativer Prozess, der Kraft und Stärke vermittelt.
Ende der 1970er-Jahre ist die Provokation, die Sie teils ausgelöst haben, internationalem Ansehen und Erfolg gewichen. Ab kommendem November wird es in der Linzer Tabakfabrik auf 300 Quadratmetern ein VALIE EXPORT Center geben. Nachdem Sie auf der ganzen Welt ausgestellt haben, sind Sie also auch wieder in Ihrer Geburtsstadt zentral vertreten. Welche Bedeutung hat dieses Center für Sie?
Das bedeutet mir viel. Mit dem VALIE EXPORT Center kommen auch Kunstwerke in meine Geburtsstadt, sie werden dort zu sehen sein. Die Aufgabe des Centers wird die Erforschung und die Aufarbeitung des VALIE EXPORT Archivs sein, das ja bereits in Linz seinen Platz hat. Durch das Center sollen sich Museen und Kunstuniversitäten international vernetzen können, es dient Kuratorinnen und Kuratoren.
In vielen Ihrer Performances, Fotografien, Installationen und Filme hinterfragen Sie die Identität und Rolle der Frau, der Künstlerin in der Gesellschaft, die sozialen und kulturellen Zwänge. Was suchen Sie hauptsächlich in der Kunst?
Ich möchte wissen: Was bedeutet Politik und Kultur, Kunst, inwieweit bedingen sie einander oder auch nicht? Wie verhält sich die Gesellschaft dazu? Welchen Stellenwert hat in dieser Welt die Frau? Welche Geheimnisse hat die Welt, die man noch entdecken könnte? Diese Fragen möchte ich in meiner Kunst zum Ausdruck bringen. Das Wunderbare an der Kunst ist, wenn es einem ein wenig gelingt, neue Räume zu öffnen, Neues zu entdecken. Sehr viele Aspekte unserer komplexen Welt bleiben uns ja verschlossen.
Hat sich Ihre Intention im Laufe der Jahrzehnte verändert?
Meine Intention ist gleichgeblieben, aber ich passe meine künstlerische Ausdrucksform der jeweiligen Zeitperiode an, erweitere meine Kunst durch deren Erkenntnisse, die in meine Kunst einfließen. Wir haben in den 1970er- und 1980er-Jahren beispielsweise nicht gedacht, dass sich ein internationaler kultureller Feminismus entwickeln würde. Ich war zu dieser Zeit bei einem feministischen Kongress in den Vereinigten Staaten, da standen die Afroamerikanerinnen auf und meinten, ihr sprecht nur von euch, von eurem weißen Feminismus, wir sind genauso sichtbar da. Jetzt haben wir eine internationale Kultur, die früher nicht in dem Maße wahrnehmbar war. Es ist enorm, was jetzt aufeinandertreffen kann. Es ist phänomenal.
Eine Ihrer Videoinstallationen trägt den Titel Die Macht der Sprache. Wenn ich es richtig verstanden habe, wollten Sie damit die Präsenz der männlichen Sprache an den entscheidenden Stellen der Gesellschaft aufzeigen. Der Stellenwert der Frau spielt in Ihrer Kunst eine zentrale Rolle bis hin zum oft radikalen und schmerzhaften Einsatz Ihres eigenen Körpers. Hat sich das feministische Bewusstsein Ihrer Meinung nach in der Gesellschaft verändert?
Es hat sich insofern verändert, als heute jeder Feminist sein kann. Das formuliert die Filmemacherin und Autorin Helke Sander meiner Meinung nach am treffendsten, indem sie vor kurzem sagte: „Am Feminismus können alle Geschlechter teilhaben.“ Das ist für mich ein sehr prägnanter Satz, das ist für mich die Veränderung. Aber leider ist Feminismus einigen jungen Frauen heute nicht mehr so wichtig. Ich denke, der Kampf ist ihnen einfach zu anstrengend.
Ernüchtert Sie diese Entwicklung?
Ja, schon. Ich verstehe, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, nicht, wie eine einzige Frau Trump wählen konnte. Das ist mir komplett unbegreiflich!
In einem Interview, das vor mehreren Jahren erschienen ist, waren Sie der Überzeugung, dass Kunst Veränderungen in der Gesellschaft bewirken könnte. Sind Sie nach wie vor so optimistisch?
Es ist mehr als 20 Jahre her, dass ich das gesagt habe, doch nach wie vor bin ich davon überzeugt. Die Gesellschaft ist inzwischen eine andere geworden und auch die Kunst, doch die Kunst kann kulturelle Wahrnehmungen verändern und uns sensibilisieren.
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Valie Export
Von der Provokateurin zur Vorreiterin und Leitfigur: Zu Beginn ihrer Laufbahn löste die Linzer Künstlerin VALIE EXPORT so manchen Skandal aus. Seit Jahrzehnten aber zählt die Filmemacherin, Medien- und Performancekünstlerin mit ihren vorwiegend feministischen Aktionen zu den international bedeutendsten Künstlerinnen Österreichs und erhielt viele internationale Preise. Vor zwei Jahren kaufte die Stadt Linz ihren Vorlass. In einigen Monaten wird in der Linzer Tabakfabrik das VALIE EXPORT Center eröffnet.
Fotos: Herwig Prammer